10 wichtige Fragen und Antworten zur Wirtschaftskrise in der Türkei

Welche Auswirkungen hat der türkische Wirtschaftskurs?

Die Türkei ist in den vergangenen Wochen immer tiefer in eine Währungskrise gestürzt. Die Lira verlor zwischenzeitlich stark an Wert. Was steckt dahinter? Und wie wirkt sich die Krise in der Türkei tatsächlich aus? Hier finden Sie die Antworten auf die 10 wichtigsten Fragen zur Wirtschaftskrise in der Türkei – mit Anmerkungen von Dr. Ulrich Kater, Chefvolkswirt der DekaBank.

Auf den ersten Blick macht die türkische Wirtschaft einen durchaus stabilen Eindruck. Sie ist im ersten Quartal dieses Jahres um 7,4 Prozent gewachsen. Die Arbeitslosenquote liegt bei 9,6 Prozent.  Die Türkei ist mit 28 Prozent des Bruttoinlandsprodukts verschuldet – relativ wenig im europäischen Vergleich. Warum ist also von einer Krise die Rede?

Seit Jahresbeginn hat die türkische Landeswährung Lira gegenüber dem Euro 40 Prozent an Wert verloren. Der Grund: „Die Investoren vertrauen der türkischen Geldpolitik nicht mehr“, sagt Deka-Chefvolkswirt Ulrich Kater. Sorge bereitet vor allem die Inflationsrate, die mit fast 16 Prozent exorbitant hoch ist. Bereits geraume Zeit weigert sich die türkische Notenbank, ihre Leitzinsen entsprechend anzuheben, um den Inflationsdruck zu senken.

Zu vermuten ist: Erdogan interveniert. Er stellt die Unabhängigkeit der Notenbank offen in Frage. Zuletzt hatte er ein Dekret erlassen, das ihm erlaubt, die Zentralbankspitze alleine zu ernennen und die Türken dazu aufgefordert, Dollar und Euro in Lira umzutauschen. Die Aufrufe Präsident Erdogans an die Bevölkerung, Gold und Devisen abzuliefern, werten Experten als Verzweiflungsakt.

Inzwischen zeigt die wirtschaftliche Situation der Türkei Anzeichen einer so genannten Zahlungsbilanzkrise. Kater: „Das bedeutet, dass ein Land seinen Lebensstandard nur über starke Kapitalzuflüsse aus dem Ausland halten kann.“ Die Sorge wächst international, dass sich die Lage zuspitzt.

Die sich bereits länger abzeichnenden wirtschaftlichen Schwierigkeiten wurden durch die jüngsten diplomatischen Verstimmungen zwischen der Türkei und den USA zusätzlich verschärft, der Lira-Kurs befand sich zwischendurch im freien Fall. Die USA fordern die Freilassung des Predigers Andrew Brunson, der in der Türkei wegen des Verdachts festgehalten wird für die kurdische Terrororganisation PKK und die Gemeinde des Islamistenpredigers Gülen spioniert zu haben.

Die US-Re­gie­rung hält die Beschuldigungen für grundlos und hat Sanktionen gegen zwei türkische Minister sowie weitere Strafzölle auf Stahl- und Aluminiumimporte aus der Türkei verhängt, um Druck auf die Regierung auszuüben.

Laut den Experten der Deka treffen beide Maßnahmen die türkische Wirtschaft nicht sehr stark. „Doch sie sind als Zeichen zu werten, dass die enge strategische Partnerschaft der beiden Nato-Verbündeten stark beschädigt ist“, sagt Kater. Die türkische Regierung will sich jedoch nicht unter Druck setzen lassen und weigert sich bislang, Brunson freizulassen.

Die Deka-Experten beurteilen die Streitereien zwischen Erdogan und US-Präsident Trump jedoch nur als Anlass für den Währungsverfall, und nicht als die Ursache.

Die türkische Lira ist schon seit Monaten unter Druck. Auslöser für die Währungsschwäche ist nach Einschätzung der Deka eine ungeeignete Wirtschaftspolitik, die sich nicht um Stabilitätsziele scherte. So verfehlt die Notenbank schon seit Jahren ihr Inflationsziel von fünf Prozent.

Präsident Erdogan hatte im Wahlkampfjahr vor allem auf Kreditfinanzierung gesetzt. Das zahlte sich kurzfristig für die Türkei aus. Er gab einige Großprojekte in Auftrag wie Atomkraftwerke, Autobahnen, Kanäle oder einen neuen Flughafen, das Wirtschaftswachstum auf Pump brummte.

Die Türkei hat damit allerdings ein Leistungsbilanzdefizit von 5,6 Prozent ihres Bruttoinlandprodukts aufgebaut und sich dadurch hoch im Ausland verschuldet. Der Chef-Volkswirt der Deka: „Es bedeutet, dass das Land immer stärker auf Kapital von außerhalb angewiesen ist. Diese Kredite sind zum großen Teil in US-Dollar oder Euro ausgestellt. Je schwächer die türkische Währung ist, desto schwieriger wird die Bedienung der Kredite“.

Inzwischen hat die türkische Währung wieder zugelegt. Auch andere Währungen von Schwellenländern erholten sich im Fahrwasser der Lira. Das wird unter anderem darauf zurückgeführt, dass die Zentralbank die Liquidität der türkischen Banken erhöht und so für etwas Zuversicht gesorgt hat.  An der Istanbuler Börse stiegen die Kurse wieder.

Die Währungskrise dürfte vermehrt dazu führen, dass Unternehmen in der Türkei Insolvenz anmelden müssen. Der Grund: „Viele Unternehmen sind in US-Dollar verschuldet. Diese Kredite haben sich nun dramatisch verteuert. Setzt sich der Abwärtstrend der Lira fort, werden viele Unternehmen ihre Kredite nicht mehr bedienen können“, sagt Kater. Steigende Kreditausfälle für türkischen Banken wären die Folge.

Die Deka-Wirtschaftsexperten bewerten positiv, dass die türkischen Staatsschulden von knapp 30 Prozent noch keinen Anlass zu Sorge bieten. Diese Summe wäre auch noch tragbar, wenn sich die Bedingungen weiter verschlechtern. Allerdings steht die Türkei hinsichtlich des Leistungsbilanzdefizits, der Auslandsverschuldung und seiner Währungsreserven deutlich schlechter da als andere Länder.

Für solche Fälle steht der Internationale Währungsfonds (IWF) bereit. Er knüpft seine Hilfen jedoch an harte Auflagen – und diese stehen dem von Erdogan verfolgten Wirtschaftsmodell diametral entgegen. Bisher lehnt es Erdogan ab, den IWF um Hilfe zu bitten.

Mit Katar verständigte sich Erdogan auf finanzielle Unterstützung. Der Golfstaat wolle 15 Milliarden Dollar in die Türkei investieren, teilte ein Sprecher mit.

Im Streit mit den USA hat die Türkei die Einfuhrzölle auf zwei Dutzend amerikanische Produkte drastisch erhöht. Darunter sind Autos, Alkoholika und Tabak. Er hat außerdem den Boykott amerikanischer Technikfirmen und Elektrogeräte wie iPhones angekündigt.

Wie stark sich die Währungskrise letztlich auf die türkische Wirtschaft auswirken wird, hängt laut den Deka-Experten stark davon ab, ob und wann die türkische Regierung ihren Kurs ändert und die Lira stabilisiert. Notwendig wäre auch eine Verbesserung des Verhältnisses zu den USA. Kater: „Die wirtschaftlichen Folgen könnten dann wohl weitgehend auf eine Wachstumsverlangsamung beziehungsweise eine leichte Rezession begrenzt bleiben.“

Sollte es zu einer Schuldenkrise kommen, würde vor allem der europäische Finanzsektor leiden. Die höchsten Engagements sind die Banken in Spanien und Frankreich eingegangen. Dabei weisen spanische Banken mit etwa 81 Milliarden US-Dollar das größte Volumen auf. Es folgen französische Banken mit 35 Milliarden US-Dollar. Auch in Italien, den Niederlanden, Großbritannien, den USA und Japan gibt es nennenswerte Forderungen gegenüber der Türkei.

Deutsche Häuser rangieren hingegen am unteren Ende der Skala. Die deutsche Bundesbank beziffert die Gesamtforderungen der deutschen Banken auf 20,8 Milliarden Euro (per 30.6.2018). Dies entspricht 1,2 Prozent des gesamten  Auslandsengagements deutscher Institute.

Viele Sparer in Deutschland haben ihr Geld zu Ablegern türkischer Banken gebracht. Dazu zählen die Ziraat Bank, Deniz Bank, Oyak Anker Bank, Akbank oder Garantibank. Aktuell werben einige der Institute mit vergleichsweise hohen Zinsen um Sparergelder.

Entscheidend ist in diesem Fall, wo das Institut seinen Sitz hat. Das muss nicht in der Türkei sein. In der Regel haben die Institute eine selbständige Niederlassung innerhalb der Europäischen Union (EU) – und die Einlagen sind dann über die gesetzliche EU-Einlagensicherung  bis 100.000 Euro geschützt.

Insgesamt sind das Türkei-Geschäft und sein Beitrag für die meisten deutschen Unternehmen überschaubar. Ein möglicher Geschäftsrückgang kann durch Wachstum in anderen Regionen kompensiert werden. Beispiel Maschinenbau: Die Türkei liegt auf Rang 14 der Exportnationen für den deutschen Maschinenbau und damit weit hinter Russland, der EU, China und den USA.

In der Chemieindustrie machen die Exporte aus Deutschland in die Türkei rund drei Prozent der deutschen Chemie-Produktion aus. BASF beschäftigt rund 800 Mitarbeiter in der Türkei, bei etwa 115.000 Mitarbeitern weltweit. In der Stahlproduktion stiegen die EU-Importe aus der Türkei in den vergangenen Jahren an, sind aber durch jüngste EU-Maßnahmen wie Zölle und Mengenkontingente künftig begrenzt. Problematisch dagegen wird der Schrotteinkauf für türkische Elektro-Stahlwerke.

Hauptrisiko für Unternehmen ist besonders die schwache türkische Währung. Kater: „Das wirkt sich vor allem dann aus, wenn sie in der Türkei lokal produzieren oder Anteile an türkischen Firmen halten.“

Isoliert betrachtet ist das Türkei-Risiko überschaubar. Eine Ansteckung der Weltkonjunktur wäre dagegen für alle Branchen schädlich.

„Die Unsicherheit hinsichtlich der Türkei hat die Risikowahrnehmung allgemein steigen lassen. Die Bewegungen an den Finanzmärkten außerhalb der türkischen blieben bisher jedoch begrenzt“, sagt Kater.

Am stärksten waren bisher die Währungen der Schwellenländer betroffen, deren Makroökonomie Ähnlichkeiten mit der Türkei aufweisen. Vor allem der südafrikanische Rand und der argentinische Peso hatten verloren, der russische Rubel unter Druck geraten. Zwar konnten alle diese Währungen ihre Verluste inzwischen teils deutlich verringern. Aber die Anleger beobachten den Markt mit Sorge.

Der Absturz der türkischen Lira im Verhältnis zum Euro lässt für Reisende vor Ort vieles günstiger  werden. Wer seinen Euro in der Türkei in Lira tauscht, erhält derzeit schon bis zu acht Lira. Vor kurzem waren es noch sechs Lira, zu Jahresbeginn nicht einmal fünf Lira. Das macht sich bemerkbar bei Souvenirs, Essen, Ausflügen oder Mietwagen.

Auf insgesamt günstigere Reisen können Urlauber aber erst einmal nicht hoffen, analysiert die Frankfurter Allgemeine Zeitung. Die Preise zwischen Reiseveranstaltern und Hoteliers werden langfristig verhandelt, in der Regel ein Jahr im Voraus. Der deutsche Urlauber bucht meistens All-inclusive  und gibt vor Ort nur wenig Geld in Lira aus.

Auch für die europäischen Reisekonzerne gibt es kaum positive Effekte aus der günstigen Währung. Der Grund: Der Hoteleinkauf findet in Euro statt.

„Setzt Präsident Erdogan seinen Kurs fort, droht der Türkei eine Zerrüttung der Außenwirtschaftsbeziehungen, die die Wirtschaft langfristig schwächen und dem Weltfinanzsystem erhebliche Zahlungsausfälle“, sagt der Deka-Chefvolkswirt.

Aber auch bei einer professionellen Handhabung der Krise kommt das Land nicht um Einschnitte herum. In diesem Fall müsste eine stabilitätsbewusste Notenbank gegensteuern und die Zinsen anheben. Damit ließe sich die Wirtschaft abkühlen und der notwendige Zufluss an Kapital wäre gesichert.

Doch hat Präsident Erdogan faktisch die Kontrolle über die Zentralbank übernommen und diese notwendigen Schritte bisher verhindert. Zudem gibt es zurzeit kaum eine Regierung, die sich mit solcher Entschlossenheit in eine Konfrontation mit den Finanzmärkten und den wichtigsten Partnerländern begibt.

Kater: „Obwohl eine Türkei-Krise sowie die möglichen moderaten Ansteckungseffekte für das Weltfinanzsystem verkraftbar sind, nimmt die Risikowahrnehmung zu.“ Der US-Dollar und Bundesanleihen würden laut den Wertpapier-Experten der Deka als sicherer Hafen von einer fortgesetzten Abwertung der Lira profitieren. Europäische Aktien würden dagegen unter der Unsicherheit leiden.

Vor allem Unternehmen, die in die Türkei exportieren, würden unter einer Wirtschaftskrise leiden. Ihre Exporte würden schrumpfen.

Die Experten der Deka gehen derzeit davon aus, dass Präsident Erdogan die Entwicklung nicht bis zu einer Schuldenkrise eskalieren lassen wird, da dies seine Wiederwahlchancen in fünf Jahren stark gefährden würde. Allerdings muss die Entwicklung in der Türkei mit höchster Aufmerksamkeit verfolgt werden, um gegebenenfalls schnell reagieren zu können.

 

Quelle: Sparkassen-Finanzportal